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KREATIVE INNOVATIONEN FÜR DIE ZUKUNFT


Zeit für kreative Sprünge.

Zukunft gestalten, aber ohne Design Thinking. 

Warum Kreativität Zeit braucht und Design Thinking die Wirtschaft nicht retten wird: ein Blick in die Zukunft der Produktentwicklung – und die Verbindung von Nachhaltigkeit und Innovationskraft. Ein Gastbeitrag von Alexander Kovrigin, Marketing- und Innovationsstratege im Zukunftsinstitut.

Sie sehen cool aus, wirken hochwertig, verkaufen sich gut – und sind richtig schlecht für die Umwelt: Schwarze Plastikverpackungen. Das Problem: Schwarzes Plastik kann nicht recycelt werden, sondern muss – bestenfalls – verbrannt werden. Profitmaximierung und Design stehen in diesem Fall der Ökologie und Nachhaltigkeit entgegen. Muss das so sein? Und wie sieht in diesem Spannungsfeld die Zukunft von Produktinnovationen aus? Vor diesen Fragen stand Sebastian Munden, General Manager von Unilever UK im Jahr 2018. Aber dazu später mehr.

Zeit für große Sprünge

 

Wir schreiben nun das Jahr 2020, unsere Gesellschaft befindet sich inmitten eines neo-ökologischen Paradigmenwechsels, der – so wie der Klimawandel – viel schneller vonstattengeht, als wir noch vor einigen Jahren dachten. Die Menschen verlangen nach Produkten und Geschäftsmodellen, die Soziales, Ökologie und Ökonomie gleichermaßen berücksichtigen. Sie wollen keine Atomkraft. Keine Kohle. Kein Diesel. Keine Massentierhaltung. Keine brennenden Plastikberge.

So wie einst das Rad, der Kompass, die Dampfmaschine oder das Smartphone die Gesellschaft sprunghaft transformierten, braucht die Menschheit jetzt radikale und intelligente Innovationen, die Milliarden von Menschen helfen, ihr Verhalten positiv zu verändern – sogenannte Sprunginnovationen, die bisherige Alternativen in den Schatten stellen und drei entscheidende Aspekte sinnvoll miteinander vereinen: Sie sind 1. gut für die Menschen, 2. gut für die Umwelt und 3. gut für das Geschäft. Eine Sprunginnovation ist eine radikal neu gedachte Lösung, die Kundinnen und Kunden auf einen Schlag ein Vielfaches an Nutzen bringt und das Unternehmen beziehungsweise die Marke nach vorne katapultiert. Dabei geht es nicht um Geschwindigkeit, sondern um die Höhe des Sprungs, also das Ausmaß der Veränderung.

Keine Zeit, um sich Zeit zu nehmen?

 

Doch es gibt ein großes Problem: Diese Lösungen sind nicht in Sicht. Zumindest nicht im Massenmarkt und nicht von den großen Unternehmen, die den Hebel hätten, millionenfach einen Unterschied zu machen. Statt schlauer, nachhaltiger Verpackungskonzepte, neuer Werkstoffe, Circular-Economy-Lösungen und sozial relevanter Geschäftsmodelle, werden viele bestehende Produkte optimiert, in Kartonpapier umverpackt oder inkrementell weiterentwickelt.

Die Gründe liegen auf der Hand. Das Führen großer Marken ist vielschichtiger geworden. Das Tagesgeschäft stressiger, die Zielgruppen segmentierter, die Produktzyklen und die Verweildauer in den großen voll verglasten Eckbüros kürzer. Innovationsverantwortliche großer Marken finden kaum Zeit, inne zu halten und grundsätzlich über Produkte und Geschäftsmodelle nachzudenken, Zukunftsszenarien zu entwerfen und eigene Antworten darauf zu finden. Egal mit welchem Unternehmen man spricht: Niemand hat Zeit, sich Zeit zu nehmen!

Quick Fixes und falsche Hoffnungen

 

Stattdessen passiert gerade das Gegenteil. Auf der Suche nach dem Quick Fix versuchen Unternehmen, den Innovationsprozess zu standardisieren und zu beschleunigen – und merken nicht, dass sie ihn dadurch zähmen und ihre Innovationskraft beschneiden. Entscheider greifen zu Literatur mit vielversprechenden Titeln wie „Das Edison-Prinzip – Der genial einfache Weg zu erfolgreichen Ideen“ oder „Fast Innovation“ und anderen vermeintlichen Innovations-Erfolgsformeln. Die Verheißung: schnell und planbar zu vorzeigbaren Ergebnissen zu kommen. Time is money. Man wiegt sich in der Sicherheit der Methode. Man will schnell durch den Hürdenparcours.

Ein gutes Beispiel dafür ist die aktuelle Besessenheit der deutschen Wirtschaft vom Design Thinking. Das Versprechen: ein schneller Prozess mit Happy End, als Highlight die zweistündige Ideation-Session. Das Ergebnis: viele bunte Post-its mit mehr oder weniger naheliegenden Ideen. Dabei ist Design Thinking durchaus ein gutes Tool, um strukturiert und kundenzentriert Designprobleme anzugehen – aber eben nicht das richtige, um disruptive Antworten auf den aktuellen Systemwandel und eine neue Marktrealität zu finden.

Zeit für (echte) Kreativität

 

Was jetzt stattdessen gebraucht wird, ist Zeit und Raum für Kreativität. Also für diejenige Superkraft, die Menschen schon immer geholfen hat, aus ausweglosen Situationen zu entkommen. Jetzt, wo die Gesellschaft nach Sprunginnovationen für eine globalisierte Ökonomie verlangt, wird diese Fähigkeit erfolgskritisch. Denn:

  1. Kreativität kennt keine Grenzen und kein „So haben wir es schon immer gemacht“. Sie verlangt nach Paradigmenwechseln und zerstört alte Denkstrukturen.
  2. Kreativität braucht Restriktionen und läuft erst dann richtig heiß, wenn etwas unmöglich oder ausweglos erscheint.
  3. Kreativität findet Antworten auf Komplexität und Mehrdimensionalität. Sie nutzt sie als Spielfelder und vereint die vielen Perspektiven in assoziativen Verknüpfungen.

Wer sich jetzt Zeit für Kreativität nimmt, anstatt zu überhitzen und nach Abkürzungen zu suchen, wird Flow-Zustände triggern, die assoziatives Denken begünstigen und zu unerwarteten Lösungsansätzen führen. Wer in die Tiefe geht, wird mit ganzheitlichen Antworten belohnt werden. Wer viele Perspektiven an den Tisch bringt, wird dem Anspruch gerecht, Mensch und Umwelt ein Stückchen weiter in Einklang zu bringen.

Schwarzes Plastik – Schwarze Schafe

 

Das eingangs erwähnte schwarze Plastik ist sinnbildlich für die aktuelle Herausforderung. Die Frage dahinter lautet: Wie entwickelt man ein hochwertiges Produkt, das im Regal und zu Hause gut aussieht und dennoch recycelt werden kann? Vor diesem Zwiespalt stand Sebastian Munden, General Manager von Unilever UK, im Jahr 2018. Statt bei der Verpackung Einbußen zu machen, beschloss das Team, sich Zeit zu nehmen, das Problem zu verstehen und eine ganzheitliche Lösung zu finden. Dafür begaben sich die Beschäftigten von Unilever zur nächstgelegenen Mülldeponie. Hier wurde klar: Schuld an der Recycling-Lücke sind die Scanner. Denn sie arbeiten mit Infrarotlicht, das vom schwarzen Plastik nicht reflektiert wird. Um gemeinsam eine kreative und ganzheitliche Lösung zu finden, involvierte das Team internationale und nationale Spezialisten für Recycling und Abfallentsorgung.

Die vielen Perspektiven erhöhten die Komplexität, doch sie brachten auch einen großen Durchbruch. Nach einer Vielzahl von Ideen und Versuchen war ein neuartiger Gedanke gefunden. Statt das Design zu verändern, erhielten die schwarzen HDPE-Flaschen eine neue Pigmentierung unter der Bezeichnung Black Pigment. Diese konnte von den Sortierungsmaschinen entdeckt werden, da das Black Pigment das Infrarotlicht der Müll-Scanner reflektierte. Unilevers ganzheitliches Denken ging allerdings noch weiter. Im Hinblick auf die Herausforderungen unserer Zeit, stellte der Konzern das Patent allen Wettbewerbern zur Verfügung. So können in UK jährlich 2.500 Tonnen schwarzes Plastik erfolgreich recycelt werden.

Die Zukunft der Innovationsentwicklung

 

Die Antworten auf die kommenden, existenziellen Herausforderungen unserer Gesellschaft und Wirtschaft dürfen nicht die Standardisierung und Beschleunigung von Innovationsprozessen sein. Vielmehr geht es um die Disruption von Denkweisen, Ideen und Prozessen, mit Hilfe von Kreativität und originellem, ganzheitlichem Denken. Natürlich braucht auch Kreativität Restriktionen, auch zeitliche. Doch im Zentrum muss die Notwendigkeit stehen, sich mehr Zeit zu nehmen für das Wichtige und nicht wie heute noch zu oft: für das Dringende.

Alexander Kovrigin

Diesen Artikel verfasste der Marken- und Innovationsstratege Alexander Kovrigin von Grabarz JMP. Er leitet das Innovationsbüro der Kreativagentur Grabarz & Partner und ist Speaker und Gastprofessor an der Freien Universität Berlin. Mehr jumpige Gedanken auf: Alexanders LinkedIn Profil und auf Grabarz JMP.

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